Selten habe ich 13.- Franken so gut investiert wie in das Buch „Drei Fragen“ von Jorge Bucay. Warum? Das erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
In „Drei Fragen“ nutzt Bucay die Parabel der Kutsche, um uns selbst zu erklären. Die Kutsche steht für unseren Körper, die Pferde für unsere Bedürfnisse, und der Kutscher symbolisiert unseren Verstand. Dieser hilft uns, Gefahren zu erkennen und die Kontrolle zu bewahren, aber die Herausforderung besteht darin, unsere Bedürfnisse und unseren Körper im Gleichgewicht zu halten. Wir müssen lernen, uns bewusst zu steuern. Je nach Lebensphase verändern sich unsere Bedürfnisse:
Die drei Drittel der Lebensentwicklung
- Erstes Drittel: Kindheit – Lernen, Entwicklung, Identität.
- Zweites Drittel: Jugend – Wachstum und Verwirklichung.
- Drittes Drittel: Reife – Pflege und Ernte der Früchte des Lebens.
Wer bin ich?
Am Anfang steht die Frage nach dem eigenen Sein. Ein neugeborenes Kind ist das verletzlichste und abhängigste Wesen der Schöpfung. Wir erziehen (und konditionieren) unsere Kinder durch formale Bildung, als nonverbale Vorbilder und mittels vererbtem Wissen.
In einer sich schnell verändernden Welt ist lebenslanges Lernen unverzichtbar: Wir sollten unseren Kindern nicht nur das Fischen mit einer Angel beibringen, sondern auch, wie man eine Angel baut. Doch oft hindern wir Kinder daran, selbst Probleme zu lösen, indem wir sie überbehüten. Eine zu behütete Kindheit kann zu Schwierigkeiten in der Zukunft führen, wenn sie auf Herausforderungen treffen.
Erwachsen sein bedeutet, sich Herausforderungen zu stellen, Optionen abzuwägen und Entscheidungen zu treffen. Bucay beschreibt Menschen, die ständig auf andere angewiesen sind, als Schwachköpfe. Er unterscheidet zwischen:
- Intellektuellen Schwachköpfen, die keine eigenen Gedanken haben.
- Emotionalen Schwachköpfen, die auf ständige Liebe und Wertschätzung angewiesen sind.
- Moralischen Schwachköpfen, die andere brauchen, um ihnen zu sagen, was richtig ist.
Bucay betont deswegen, dass Selbstständigkeit der Schlüssel zum Erwachsenwerden ist. Sie bedeutet, Herausforderungen anzunehmen, eigene Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Es geht nicht darum, völlig unabhängig zu sein, sondern Abhängigkeiten bewusst zu steuern. Wir sind der Dirigent unseres Lebens – auch wenn wir Unterstützung annehmen, liegt die Verantwortung bei uns.
Voraussetzungen für Selbstabhängigkeit
- Selbstliebe: Achtsamkeit mit sich selbst ist die Basis für Wachstum.
- Selbstreflexion: Sich der eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu sein, ist ein ständiger Prozess.
- Selbstbehauptung und Autonomie: Für sich selbst einzustehen bedeutet, mutig den eigenen Weg zu gehen, unabhängig vom Druck der Gesellschaft. Sich eigene Regeln aufzusetzen und sich daran zu halten – auch gegen Widerstand.
- Freiheit und Verantwortung: Freiheit bedeutet, Verantwortung für eigene Entscheidungen zu übernehmen und loszulassen, was uns nicht mehr dient.
Loslassen und Weiterentwicklung
Persönliche Entwicklung bedeutet, zu akzeptieren, dass man sich im Laufe der Zeit verändert. Wir müssen lernen, Vergangenes loszulassen und nicht an Materiellem oder Erreichtem festzuhalten. Wie kann man etwas genießen, von dem man abhängig ist oder bei dem man ständig fürchtet, es zu verlieren? Es geht darum, das Hier und Jetzt zu schätzen und so lange wie möglich zu genießen. Je mehr man lernt loszulassen, desto leichter kann man sich weiterentwickeln.
Wohin gehe ich?
Bucay vergleicht das Leben mit einer Reise, bei der der Weg das eigentliche Ziel ist. Es ist nicht entscheidend, anzukommen, sondern zu wissen, wohin man gehen möchte. Glück und Wachstum sind die Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Dazu gehört, sich selbst kennenzulernen, Sinn im eigenen Tun zu finden und tiefe Beziehungen zu pflegen. Kurzfristige Erfolge sind bedeutungslos, wenn sie nicht zu innerem Wachstum führen. Der innere Kompass ist entscheidend: Solange wir wissen, in welche Richtung wir gehen, spielt es keine Rolle, wie schnell wir vorankommen.
Wo anfangen?
- Eigene Möglichkeiten erkennen und Grenzen akzeptieren.
- Träume und Ziele definieren. Der Sinn des Lebens gibt die Richtung vor, nicht das Ziel selbst.
- Türen suchen, die neue Chancen eröffnen, und sich einer Sache ganz widmen.
Was vermeiden?
- Erfolg als Hauptziel zu sehen: Erfolg wird oft wie eine Droge, die in immer höheren Dosen nötig ist. Der Weg selbst sollte im Vordergrund stehen, nicht der Erfolg.
- Suche nach Spass: Spass haben heisst nicht glücklich sein – Verwechslung von momentaner Freude mit Glück führt zu einer weiteren Entfernung vom eigentlichen Glück.
- Jeden Schmerz vermeiden: Schmerz gehört zum Leben. Wer ihm ausweicht, verpasst die Chance auf Wachstum. Nur wer den Schmerz annimmt, kann innerlich wachsen. Probleme sind Teil des Lebens und bieten Lernmöglichkeiten.
Was hilft unterwegs?
Während wir unseren Lebensweg gehen, müssen wir einige Dinge klären und in Ordnung bringen. Ungeklärte oder unerledigte Angelegenheiten können uns an die Vergangenheit binden oder zukünftige Möglichkeiten blockieren. Um voranzukommen, ist es wichtig, dass wir alte Lasten loslassen und uns auf das Wesentliche konzentrieren.
Ein entscheidender Punkt, den Bucay betont, ist die Bedeutung von Glück. Um glücklich zu sein, brauchen wir Klarheit darüber, was für uns persönlich Glück bedeutet.
Eine weitere essentielle Hilfe auf dem Weg ist die Entschlossenheit, niemals aufzugeben. Träume sind nur dann sinnvoll, wenn sie uns dazu motivieren, in die Handlung zu gehen und uns dem zu widmen, was wir wirklich wollen. Indem wir aus jeder Situation das Positive herausziehen, gewinnen wir an innerer Stärke und Reife. Kraft zeigt sich vor allem in Geduld und Akzeptanz: in der Fähigkeit, schwierigen Situationen mit Ruhe zu begegnen und den eigenen Kurs beizubehalten, auch wenn wir von äußeren Einflüssen herausgefordert werden.
Optimismus ist ein weiteres wichtiges Werkzeug auf dem Weg. Unglücklich zu sein mag einfacher erscheinen, aber Optimismus verlangt von uns, aktiv an unserer inneren Einstellung zu arbeiten. Bucay beschreibt vier Elemente, die Optimismus ausmachen:
- Das Gefühl, Kontrolle über sich selbst und seine Umwelt zu haben.
- Eine zuversichtliche Haltung gegenüber Herausforderungen und Problemen.
- Die Bereitschaft, ständig zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
- Die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln und die eigene Sicht auf eine Situation zu verändern.
Bucay warnt davor, unser Glück von der Erfüllung von Erwartungen abhängig zu machen. Erwartungen binden uns an die Vorstellung eines bestimmten Ergebnisses, und sobald sie erfüllt sind, setzen wir neue. Stattdessen sollten wir lernen, im Moment zu leben und das zu schätzen, was wir haben. Glück basiert auf Akzeptanz, nicht auf Besitz oder Erfüllung von Erwartungen. Es ist wichtig, viel zu wünschen, aber nichts zu erwarten.
Unglücksformel: (Un-)Glück = Erwartungen – Realität.
Das bedeutet auch, dass wir lernen müssen, dankbar zu sein. Dankbarkeit für die Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln und für alles, was das Leben uns bietet, ist der Schlüssel zum Glück. Sie ermöglicht es uns, Veränderungen anzunehmen, ohne uns an Vergangenes zu klammern. Indem wir uns dankbar auf das konzentrieren, was wir im Leben haben, stärken wir unser inneres Gleichgewicht und unser Wohlbefinden.
Der richtige Weg besteht also darin, nicht nur ein Ziel zu verfolgen, sondern den Prozess selbst zu schätzen. Wenn wir unsere Lebensorientierung gefunden haben, ist es weniger wichtig, schnell oder perfekt ans Ziel zu kommen. Vielmehr geht es darum, das Unterwegssein zu genießen und sicherzustellen, dass wir im Einklang mit uns selbst sind. Dieses Gefühl von „FLOW“ entsteht, wenn wir wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dabei innere Zufriedenheit spüren.
Mit wem ? Beziehungen und Liebe
Bucay betont die Bedeutung von authentischen Beziehungen. Glück bedeutet nicht, allein zu sein, sondern tiefe, ehrliche Verbindungen zu anderen aufzubauen. Liebe basiert auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen. In einer gesunden Beziehung hilft man dem anderen, sich selbst zu entfalten, ohne sich selbst dabei aufzugeben.
Wahre Intimität entsteht nur, wenn wir uns verletzlich machen und dem anderen erlauben, uns wirklich zu berühren. In Beziehungen sollte der Fokus auf den Menschen liegen, die uns wirklich wichtig sind, und nicht darauf, anderen gefallen zu wollen.
Fazit:
In „Drei Fragen“ lehrt uns Jorge Bucay, dass Selbstreflexion, Eigenverantwortung und der Mut, loszulassen, der Schlüssel zu einem erfüllten Leben sind. Glück und Erfolg kommen von innen – durch das Verständnis, wer wir sind, wohin wir wollen und wie wir Beziehungen aufbauen. Der Weg ist das Ziel, und es liegt an uns, ihn bewusst zu gestalten.
Meine Erfahrungen:
- Die drei Fragen „wer bin ich“, wohin gehe ich“ und „mit wem“ helfen mir zusammen mit den Ausführungen von Bucay meine wesentliche Richtung zu erkennen und Veränderungen anzustreben.
- Essentiell ist, dass man vorne beginnt: bei sich selber. Sich selber kennen (inkl. Stärken und Grenzen) und darauf basierend seine Richtung ableiten. Für mich war wichtig zu erkenne, dass Wachstum und Entwicklung zwingend durchlaufen werden müssen. Und dass es länger dauert, bis in die persönliche Reife.
- Nach der Selbstwahrnehmung haben mir die Konzepte der Selbstbehauptung (eigene Regeln aufsetzen und mich daran halten – auch gegen Widerstand) und des Zurücklassen (Abschied von Materiellem – aber auch von „allen gefallen / genügen wollen) am meisten geholfen.
- Auf der Such nach dem wohin hat sich meine Perspektive vom kurzfristigen (Spass, Erfolg) auf den langfristigen Horizont verlagert: Glück und Erfüllung. Mut zu den eigenen Träumen. Hierfür habe ich an meinen Erwartungen gearbeitet, Dankbarkeit entwickelt und konzentriere mich heute viel mehr auf das, was ich habe, statt auf das was ich noch haben könnte / oder wollte.
- Mein „mit wem“ hatte ich bereits geklärt – und das hat sich noch weiter verstärkt.